Ha hong heng

Meine Mutter, Gertrud Schneider (1908-1984), verheiratete Garcke-Wittgendorf, erzählte gerne die folgende Geschichte.

Der Bruder meines Vaters Hans Schneider-Wildensee, Hermann Schneider (1872-1937), hing sehr an seinem elterlichen Hof und an seinem Heimatdorf Wildensee, auch wenn er als Bankier in großen Städten lebte.

Mein Vater Hans Schneider-Wildensee(1876-1950) züchtete Kaltblutpferde, Holstein-Rinder und Schafe. Die in Wildensee gehaltene Schafherde war für den Hof eigentlich zu groß. Hans hatte aber mit mehreren Nachbarn Abreden, wonach die Schafe auch auf deren Feldern gehütet werden konnten. Die Nachbarn wurden dafür zu einem Essen in großem Kreis nach Wildensee eingeladen. Hermann kam dazu gerne nach Wildensee. Er hatte eine dichterische Ader und unterhielt die Gäste mit seinen Gedichten in altenburgischer Mundart.

Die Wildenseer Hausfrau brauchte viele Hilfen, um die Essen für die große Zahl von Gästen vorzubereiten. Die Frauen der auf dem Hof Beschäftigten reichten nicht dafür. Es kamen auch Frauen aus dem ganz nahe gelegenen Steinbrüchen, die in den kleinen, früher von Steinhauer-Familien bewohnten Häusern wohnten. Um viele Gäste beköstigen zu können, hatte der Wildenseer Hof in der Backstube einen großen Backofen der Art, wie sie seinerzeit in Bäckereien eingebaut waren. Im Keller gab es ein Becken mit fließendem Wasser für lebende Fische aus den eigenen Teichen. In das Becken kamen die Fische, nachdem sie in einem gemauerten Bassin in einem kleinen Teich in der Nähe des Hofes zwischengehalten waren.

Als wieder eines der Essen vorbereitet wurde, suchten zwei Frauen aus Steinbrüchen nach einem Schieber für den Backofen. Die eine fand ihn. Die andere fragte: wo ? Die Antwort war: Ha hong heng.

Hermann Schneider hatte die Frauen beobachtet. Er bemerkte dazu, die Altenburger Mundart müsse doch wohl mit der chinesischen Sprache verwandt sein.

Am 11. Dezember 2018 waren meine Frau und ich in Zeitz im Stadtarchiv, um der Leiterin die Geschichte der Familie Garcke zu überreichen. Im Vorraum stellte das Archiv in einer Vitrine seine jüngst erworbenen Bücher aus. Ich fiel aus allen Wolken; dort lag ein Buch mit dem Titel „Ha hong heng“.

Ein Gespräch mit dem Autor Wido Hertzsch aus Altenburg bestätigte, was wohl schon zu ahnen war. Die Worte „Ha hong heng“ („Er hing hinten“) waren nicht nur, wenn überhaupt, jedenfalls nicht zum erstem Mal in Wildensee gefallen. Nach Herrn Hertzsch erzählte der Mundartdichter Ernst Daube (1869-1956), der als Jugendlicher in Braunshain in der Nähe von Wittgendorf lebte und in Meuselwitz starb, zum ersten Mal eine Geschichte mit „Ha hong heng“. Danach tauchten die Worte mehrfach in Anekdoten wieder auf.

Wie auch wohl in der aus Wildensee.

Berlin, den 14. Dezember 2018
Klaus Garcke