Mahnung und Ermunterung an die Kinder, einander nicht fremd zu werden

Aus den Erinnerungen von Therese Hochheimer, geb. Garcke (1839-1926),
1903 aufgeschrieben für das Familienbuch der Familie Garcke in Wittgendorf

Wie mich die Erbitterung jedesmal anpackt, wenn ich an diese traurige Erbangelegeneheit zurückdenke. Es sind ja doch meine Geschwister und ich sollte ihnen aus Christenpflicht nicht zürnen. Ich bemühe mich auch wirklich, kühl darüber zu denken; ich habe ja sonst auf der Welt keinen Anhalt und bin keine Natur, die sich mit Jemand, wer er auch sei und was die Person mir auch zu Leide getan haben möge, auf lange Zeit verfeinden mag.

Ich bitte Euch, meine lieben Kinder, Schwieger- und Enkelkinder, ebenfalls mal eine Kränkung Euch untereinander zu verzeihen, aber auch ein Jeder sich bemühe, so zu handeln und zu sein, dass er wohl der verzeihende, niemals aber der schuldige Teil sein möge. Es hat ja ein Jeder von Euch seine Fehler und Jeder mag sich bemühen, dieselben abzulegen. Es soll kein Hochmut unter Euch sein, niemand darf sich mehr dünken als die Anderen, ein Jeder soll mit Liebe an die Geschwister denken und gegen die Seinen von ihnen sprechen, wenn auch der Eine höher gestellt ist oder es in seinem Leben weitergebracht hat. Jeder hat sich zu prüfen, wie weit er durch sich selbst gekommen wäre, wenn ihm nicht durch besondere Verhältnisse oder gute Menschen geholfen worden wäre. Wer aber selbst Schuld trägt an seinem Schicksal, der sehe es auch reuhevoll ein und suche zu retten, was noch zu retten ist, denke nicht immer an sein Wohlbehagen, sondern nehme die Last auf sich und murre nicht.