Quedlinburg im 17. und 18. Jahrhundert

Quedlinburg, Herkunftsort der später u. a. in Wittgendorf, Burgenlandkreis, ansässigen Familie Garcke, war im 17. und 18. Jahrhundert, der Zeit, in der Mitglieder der Familie als Bürger nachgewiesen sind, ein Fürstentum des alten deutschen Reiches.

Die Witwe König Heinrichs I, der 936 in der Kirche auf der Burg, dem heutigen Schloßberg, begraben worden war, gründete im gleichen Jahr an dieser Kirche ein dem Heiligen Servatius geweihtes Kanonissenstift, das zuerst von ihr und auch danach vielfach von Angehörigen der königlichen Familie geleitet wurde. Quedlinburg war während der Zeit der Ottonen eine der wichtigsten Pfalzen des Reichs. Die Kaiserinnen Adelheid, Witwe Ottos I, und Theophanu, Witwe Ottos II, leiteten 973 bis 978 von hier aus die Geschicke des Reichs. Kaiser und Könige hielten sich mit ihrem Gefolge zwischen 922 und 1207 69 Mal in der Pfalz auf. An diese große Zeit erinnern heute noch die Schlosskirche und der auf dem Schlossberg aufbewahrte, 1945 geplünderte und erst 1992 zurückgeführte Domschatz.

Gestützt auf die ihnen verliehenen Privilegien konnten die Äbtissinnen ein kleines Stiftsterritorium schaffen, das nach der Reformation 1539 ein evangelisches „Freies Weltliches Stift“ wurde mit – seit 1663 – Sitz und Stimme auf der Prälatenbank des in Regensburg tagenden Reichstags.

Als geistliches Fürstentum hatte das Stift einen Schutzherrn oder Vogt. Vom 15. Jahrhundert ab lag die Vogtei bei den Kurfürsten von Sachsen; diese verkauften sie 1698 an den Kurfürsten von Brandenburg, der 1701 König in Preußen wurde. Wie die anderen geistlichen Fürstentümern des Reichs wurde das Stift 1803 aufgelöst. Es wurde dem preußischen Staat angegliedert.

Die heutige Stadt Quedlinburg war noch bis Anfang des 19. Jahrhunderts in mehrere, rechtlich getrennte Teile gegliedert. Die Angehörigen der in diesem Bericht behandelten Familie Garcke lebten in der Altstadt, in der Neustadt und im Westendorf. Auf diese Stadtteile soll deshalb etwas näher eingegangen werden.

Die westlich des Schlossbergs gelegene Ansiedlung des Westendorfs bildete eine selbständige Gemeinde, für die eigene „Geschworene“ (Gemeindevertreter) berufen wurden. Zusammen mit dem Vorort „Neuer Weg“ und dem Dorfe Ditfurt unterstand das Westendorf unmittelbar dem fürstlichen Amt der Äbtissin; dieses übte hier die Gerichtsbarkeit und die Polizei aus. 1810 hatte das Westendorf 233 Häuser. Es verfügte über ein eigenes Versammlungshaus, das 1581 erbaute Haus Gildschaft Nr. 2, das erst 1976 abgebrochen worden ist. 1810 wurden das Westendorf und die Neue-Weg-Vorstadt mit der übrigen Stadt zusammengefaßt.

Das Westendorf hatte schon vor der Reformation zur Gemeinde der außerhalb der Stadt auf dem ehemaligen Königshof gelegenen St. Wiperti-Kirche gehört. Nach der Auflösung des dort gelegenen Klosters in der Reformation wurde die Kirche dem Westendorf als Pfarrkirche zugewiesen.

Die eigentliche Stadt Quedlinburg erwuchs aus einer Niederlassung um den Markt und die Marktkirche St. Benedicti, die mit zwei vermutlich älteren Ansiedlungen um die Blasius-Kirche im Süden und um die Ägidienkirche im Norden zur „Altstadt“ verschmolzen ist. Neben der Altstadt entstand im 12. Jahrhundert die regelmäßig gestaltete „Neustadt“ mit der Pfarrkirche St. Nikolai. In der Neustadt wohnten bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts nur Ackerbürger und Handwerker, keine Kaufleute. Seit 1327 bestand eine gemeinsame Verwaltung.

Den Bemühungen der Stadt um mehr Selbständigkeit, die sich in dem Beitritt zur Hanse 1426 zeigten, widersetzte sich die Äbtissin Hedwig von Sachsen (1458-1511), die ihre Brüder, die Herzöge Ernst und Albrecht, gegen die Stadt zu Hilfe rief. Quedlinburg musste sich 1477 deren Streitkräften ergeben. In der Unterwerfungsurkunde musste sie auf alle Bündnisse verzichten. Die Wahl zum Ratsherrn war nunmehr von der Bestätigung durch die Äbtissin abhängig. Nur die Ratsherren selbst hatten noch das Recht, neue Mitglieder auf Lebenszeit zu wählen und der Äbtissin vorzuschlagen. Vorher hatten zwölf Innungsmeister, je zwei aus den sechs Hauptinnungen, zu denen die Fleischer, gehörten, und zwölf Gemeindemeister, zusammen also 24 Stadtgeschworene, die Ratsherren gewählt und auch bei anderen wichtigen städtischen Angelegenheiten mitgewirkt.

Gemeindemeister wurden je zwei in den vier Bezirken der Altstadt und in zwei Bezirken der Neustadt berufen. Später wurden sie auch Viertelsherren oder -meister, auch Quartiermeister, genannt. Die Aufgaben der Viertelmeister bezogen sich vor allem auf die Ackerleute, die anders als die Handwerker und Kaufleute nicht in einer Gilde oder Innung zusammengeschlossen waren.

Um in der Stadt „bürgerliche nahrung und hantierung“ treiben zu können, mußte man Bürger sein. Söhne von Bürgern konnten das Bürgerrecht erwerben, sobald sie selbständig wurden oder sich verheirateten.

Die Quedlinburger Feldflur umfaßte 1764 rd. 28980 Morgen, davon hatte die Altstadt mit 134 Besitzern einen Anteil von 7404 Morgern, die Neustadt mit 104 Besitzern 3094 Morgen, die Vorstadt Westendorf mit 36 Besitzern 3617 Morgen. Rd. ein Drittel der Flur war in stiftischem Besitz. Der Rest fiel auf die am Neuen Weg und anderswo wohnenden Vorstadtbewohner, auf Auswärtige, den Magistrat, die Vogtei, Kirchen und Hospitäler. Für die Feldflur war das Gericht des Schutzherrn zuständig.

Außer dem Ackerbürgertum bestimmten Handwerk und Handel seit dem Mittelalter das Wirtschaftsleben Quedlinburgs. Die in der Stadt lebenden Garckes, die verschiedenen, bisher nicht als untereinander verwandt anzusehenden Familien angehörten, waren nahezu ausschließlich Fleischer (Fleischhauer). Daneben waren sie auch Branntweinbrenner und sie hatten auch Häuser mit Brauberechtigung (Brauherrn).

Das Brauwesen war in Quedlinburg seit Alters her besonders bedeutsam. Das Recht zu brauen haftete an bestimmten in der Alt- und Neustadt verstreut liegenden Häusern. 1586 waren es 197, 1756 201. Die Brauberechtigten waren in Quedlinburg nicht zu einer Körperschaft oder Innung zusammengeschlossen.

Das Brauen ging bei den berechtigten Häusern in einer bestimmten Ordnung um. Früher braute man immer in seinem eigenen Brauhause, später konnte man auch in einem städtischen Brauhaus brauen. Seit 1756 war das Brauen nur noch in den öffentlichen Brauhäusern erlaubt.

Im Westendorf bestanden 17 Brauhäuser. Während im 18. Jahrhundert der Preis der Brauhäuser in der Alt- und Neustadt immer mehr sank, stiegen im Westendorf, wo man weiterhin im eigenen Haus braute, die Braugerechtigkeiten im Wert.

Viele Angehörige des hier beschriebenen Zweigs der Quedlinburger Garckes waren Brauherren, d. h. sie hatten ein Haus mit Brauberechtigung.

Quedlinburger Bier war bekannt und wurde auch in andere Städte exportiert.

Auch Quedlinburger Branntwein war im 17. und 18. Jahrhundert erfolgreich gegenüber der Nordhäuser und Wernigeröder Konkurrenz. In großen Städten wie Leipzig wurde seine Einfuhr als Bedrohung für die dortigen Brennereien gesehen. Die Zahl der Brennereien in Quedlinburg schwankte stark. 1680 gab es 60 Brennereien, 1733 45, 1790 wieder 60, 1808 48. Mit der Brennerei war in der Regel Mastviehhaltung verbunden. Wie sich die Brennerei auf das Quedlinburger Stadtklima auswirkte, beschreibt Kaspar Friedrich Gottschalk, der als Beamter im benachbarten Ballenstedt lebte, in seinem 1800 (unter dem Verfassernamen Wilhelm Ferdinand Müller) erschienenen Buch „Meine Streifereyen in den Harz und in einige seine umliegenden Gegenden“: „Hiezu gesellt sich ein widriger ekeler, die Luft verpestender Geruch, welcher mit dem Eintritt in das Tor anfängt und die Folge der vielen Branntweinbrennereien ist, sodaß man in Wahrheit genötigt wird, sich die Nase zuzuhalten. Der Quedlinburger Branntweinbrenner, welcher in dieser Atmosphäre geboren und erzogen wurde, empfindet freilich nichts Widriges, indem er diese von Spülichausdünstungen schwangere Luft einatmet, im Gegenteil mag ihm der Genuß derselben wohl eine Art von Wohlbehagen einflößen.“ Branntweinbrennerei wurde von vielen der Quedlinburger Garckes betrieben.

Anders als die Ackerleute, Brauer und Brenner waren die Handwerker auch in Quedlinburg schon im hohen Mittelalter in Verbänden zusammengeschlossen. Ihre Vorsteher konnten in den städtischen Angelegenheiten mitreden. Nach dem Verlust der städtischen Freiheiten im Jahre 1477 waren aber auch die Innungsmeister nunmehr nur noch für ihre Gilden da.

Die Ordnungen und Gebräuche des Quedlinburger Fleischerhandwerks sind in den von der Äbtissin bestätigten Innungsordnungen festgelegt. Dem folgenden liegt vor allem die 1756 von der Äbtissin Amalie, der Schwester Friedrichs des Großen, bestätigte Ordnung zugrunde.

Die Zahl der Tiere, die jeder Fleischer wöchentlich schlachten durfte, war genau vorgeschrieben, in der Regel acht Stück, wobei ein Rind als zwei Stücke, je ein Schwein, Kalb oder Hammel oder vier Lämmer als ein Stück rechneten.

Andere als die Mitglieder der Innung durften Fleisch und Wurst in der Stadt nicht verkaufen. Mit Mängeln behaftetes Vieh durfte nicht geschlachtet, solches Fleisch nicht verkauft werden.

Den Fleischern wurde der Verkaufspreis genau vorgeschrieben. Von 1733 ab monatlich, um 1750 wöchentlich setzte der Magistrat, meist im Einvernehmen mit den Fleischermeistern die Fleischtaxe fest, die am Rathaus und den Stadttoren öffentlich ausgehängt wurde. Vorher hatte sich der Magistrat oft bei den Verwaltungen benachbarter Städte, z. B. Halberstadt, Aschersleben, Wernigerode erkundigt.

Jedes Jahr wählten die Fleischer zwei Innungs- oder Gildemeister und vier Viermänner als Vorsteher der Innung und Aufseher. Die Gildemeister leiteten die Innungsversammlungen (Morgensprachen). Anwesenheit war für die Mitglieder Pflicht.

Voraussetzung für die Aufnahme in die Innung war eine zweijährige Lehre und eine zweijährige, für Meistersöhne einjährige Wanderschaft. Junge Fleischer durften selbständig erst schlachten, wenn sie 26 Jahre alt waren und ihr eigen „Feuer und Herd“ hatten.

Die Quedlinburger Fleischer hatten wie einige andere Innungen für ihre Versammlungen und das gesellige Leben ein eigenes Gildehaus. Es war von der Mitte des 17. Jahrhunderts bis 1779 das Haus Word 5 (früher Word 534). In der Nähe liegt der große so genannte Fleischhof, für den eine „Fleisch“nutzung allerdings nicht nachzuweisen ist. Von 1779 ab war das Gildehaus in der Schmalen Straße 4 (früher Schmale Straße 381), einem zweigeschossigen Fachwerkbau des Quedlinburger Barock. Das Haus wurde bei der von der westphälischen Regierung 1808 verfügten Auflösung der Innungen und Gilden verkauft.